kath.net katholische Nachrichten

Aktuelles | Chronik | Deutschland | Österreich | Schweiz | Kommentar | Interview | Weltkirche | Prolife | Familie | Jugend | Spirituelles | Kultur | Buchtipp


Theologe: Lateinamerikas Kirche verliert geistlichen Fokus, Glaubensthemen stets unberücksichtigt

vor 2 Tagen in Weltkirche, 9 Lesermeinungen
Artikel versenden | Tippfehler melden


Scharfe Kritik des Befreiungstheologie-Wegbereiters Clodovis Boff (Bruder von Leonardo Boff) an Bischofsrat CELAM: Fokus liegt fast ausschließlich auf sozialen Fragen, Glaubensthemen stets unberücksichtigt


Brasilia (kath.net/KAP) Die Rückbesinnung auf zentrale christliche Glaubensinhalte hat der brasilianische Theologe und frühere Wegbereiter der Befreiungstheologie, P. Clodovis Boff (81), vom Lateinamerikanischen Bischofsrat CELAM eingefordert. In einem offenen Brief, den er als Reaktion auf die im Mai stattgefundene 40. Generalversammlung von CELAM in Rio de Janeiro verfasst hat, kritisiert Boff, dass sich die lateinamerikanische Kirchenführung in der Gegenwart wie auch in den vergangenen Jahrzehnten nahezu ausschließlich auf soziale Fragen fokussiere. Zentrale Glaubensinhalte wie Christus, Gebet, Gnade, Leben nach dem Tod, Marienverehrung oder Bekehrung würden dabei vernachlässigt.

Boff, der einst zusammen mit seinem Bruder Leonardo (86) maßgeblich die Befreiungstheologie geprägt hat, distanziert sich bereits seit 2007 von deren ursprünglicher Ausrichtung. Damals warnte er, die Bewegung habe die Armen zum Ersatz für Christus gemacht, statt Christus in den Vordergrund zu stellen. Auch nun beklagte er, die Kirche laufe Gefahr, sich von ihrer geistlichen Mitte zu entfremden: "Wenn das Haus brennt, darf jeder rufen", begründete Boff seine Wortmeldung. Er sehe "ein wahrhaft ernstes Risiko" für die Kirche, "ihr geistliches Wesen zu verlieren".

In seinem Schreiben verweist Boff auch auf Papst Leo, der in einem Begleitbrief an den CELAM zur Erneuerung christlicher Hoffnung und zur Verkündigung des Heils in Christus aufgefordert habe. Laut Boff seien diese Hinweise ungehört geblieben: Auch die jüngste CELAM-Erklärung habe die bestehenden sozialen Herausforderungen wie Armut, Gewalt, Migration und Umweltzerstörung in den Vordergrund gerückt - womit die Analyse der Bischöfe kaum über das hinausgehe, was Journalisten oder Soziologen längst feststellten.

In einer nach Spiritualität suchenden Welt, die zunehmend genug habe vom Säkularismus, bleibe die Kirche damit hinter ihren Möglichkeiten zurück und gebe den Menschen nicht die benötigte geistliche Nahrung, sondern speise sie mit "Krümeln" ab. Die Bischöfe hörten zwar die "Schreie des Volkes", aber sie reagierten nicht auf den tiefsten Schrei dieser Zeit, welcher jener nach Gott sei. Darauf zu antworten, sei jedoch gerade die eigentliche Berufung der Kirche, wofür Lösungsansätze einer "frommen NGO" nicht ausreichten. Als Folge schrumpfe in Lateinamerika die katholische Mehrheit weiterhin - allen voran in Brasilien, das sich zum "größten Ex-Katholiken-Land der Welt" entwickle.

Besorgt zeigte sich Boff auch über die wachsende Kluft zwischen Klerus und Gläubigen. Während Laien zunehmend stolz Zeichen ihres Glaubens wie Kreuze, Medaillen oder religiös bedruckte Kleidung trügen, verzichteten viele Priester und Ordensleute heute bewusst auf sichtbare religiöse Symbole. Diese Entfremdung in der äußeren Erscheinung sei sinnbildlich für eine tiefere geistliche Krise innerhalb der Kirche, die sich auch in ihrer pastoralen Sprache zeige.

Als Alternative forderte der Ordensmann einen "überwältigenden Christozentrismus", wie ihn Papst Johannes Paul II. beschrieben habe. Die Kirche müsse Christus ins Zentrum ihres Denkens, Handelns und ihrer Verkündigung stellen, um den tieferen geistlichen Hunger der Menschen zu stillen. Die Bischöfe sollten die sehr wohl bestehenden Aufbrüche und "Keime" besser wahrnehmen, die Boff insbesondere in den erneuerten Pfarreien sowie in den neuen Bewegungen und Gemeinschaften verortete. Dass hier die Zukunft liege, erkenne man darin, "dass wir im sozialen Bereich fast nur noch 'Menschen mit weißen Haaren' sehen, während wir im geistlichen Bereich eine regelrechte Hinwendung der Jugend zur Spiritualität erleben".

Die Reaktion auf den Brief fiel verhalten aus. Boff zufolge habe lediglich Kardinal Jaime Spengler, der Präsident von CELAM und einst Schüler des Paters, auf das Schreiben reagiert und sich offen für die geäußerte Kritik gezeigt. Auch die brasilianische Bischofskonferenz CNBB habe sich gemeldet, berichtet das US-Portal "National Catholic Register".

Copyright 2025 Katholische Presseagentur KATHPRESS, Wien, Österreich
(www.kathpress.at) Alle Rechte vorbehalten


Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte helfen Sie kath.net und spenden Sie jetzt via Überweisung oder Kreditkarte/Paypal!

Tweet 




Lesermeinungen

Stefan Fleischer vor 22 Stunden: Eine weitere Ursache der heutigen Krise

ist der Ungehorsam, jener «vorauseilende Gehorsam» welcher die Kirche durch «faits accomplis» verändern, dem Zeitgeist angepassen will, jene Besserwisserei, welcher die vorgeschriebenen Texte und liturgischen Formen etc. durch Eigenmächtigkeiten zu «verbessern» sucht,
Wir sangen heute im Gottesdienst: «Wir alle sind Gemeinschaft und keiner bleibt allein.» Dabei musste ich an die vielen denken, welche heute in unserer hoffnungslos zersplitterten Kirche allein sind mit der grossen Frage: «Wohin soll ich mich wenden?» Es gibt heute so viele falsche Propheten, welche (zum Teil ganz unbewusst und mit viel gutem Willen) glauben, unseren Glauben dem Geschmack der Welt anpassen zu müssen. Und die Stimme der Kirche ertönt immer leiser, immer ängstlicher. Fast niemand mehr hat «Worte des EWIGEN Lebens. (vgl. Joh 6,68)

Stefan Fleischer vor 23 Stunden: faits accomplies

lesa vor 24 Stunden: Krankheitsherde und falsche Weichenstellungen mutig benennen!

Entschuldigung, aber so viele wichtige und zutreffende Aussagen dieser Kommentar enthält - es fehlt das Wichtigste. Damit der Aufruf nicht wieder leeres Gerede bleibt, das dem neu gedrehten Wind entspricht, muss man auch die Wurzeln dieser Entwicklung benennen, die Lecks im Schifflein Petri schließen: Will heißen, Zweideutigkeiten und das "Weltoffenheits bzw. -Angleichungsgerede", die Tür und Tor für alle möglichen Beliebigkeiten in der Kirche geöffnet haben, ehrlich benennen. Bitte endlich aufhören, Vatikanum II als unantastbares Glanzstück zu präsentieren. Ein Pastoralkonzil darf Korrekturen erfahren. Und schließlich ist es geradezu unredlich (oder blind), die hier zitierten Mahnungen von Papst Franziskus vorzuführen, ohne nicht auch seine konkreten verfehlten Weichenstellungen beim Namen zu nennen. Dabei sei es fern, sein Pontifikat auf diese Verkehrtheiten zu reduzieren. Seine guten Taten sind ebenso präsent. Aber das Wort Jesu bleibt: "Nur die Wahrheit wird euch frei machen".

SalvatoreMio vor 24 Stunden: SEIN Reich, SEINE Gerechtigkeit

@Stefan Fleischer: sehr schön, danke!

Stefan Fleischer vor 27 Stunden: @ SalvatoreMio

Man könnte zur Verstärkung Ihrer Aussagen noch Mt 6,33 hinzufügen:
«Euch aber muss es zuerst um SEIN (Gottes) Reich und um SEINE Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben.»

SalvatoreMio vor 2 Tagen: Die Armen anstelle von Christus ?...

Der letzte Auftrag Jesu an seine Aposteln lautete: "Macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des >Heiligen Geistes, UND lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe". (Matthäus 28, 18b). Darin ist alles enthalten! Zuerst muss Gott verkündigt werden; dann kommen ganz selbstverständlich in der Verkündigung seine Gebote hinzu mit dem Schwerpunkt der Liebe zum Nächsten, besonders zu dem, der in Bedrängnis ist (Barmherziger Samariter). - Macht man es umgekehrt oder versorgt die Armen ausschließlich mit dem Irdischen, so betrügt man sie um den größten Schatz, der Gott selber ist!

Versusdeum vor 2 Tagen: Über den eigenen Schatten springen

ist immens schwer, besonders, wenn man sich jahrzehntelang für / gegen etwas eingesetzt hat und dann erkennen muss, dass man den falschen Weg gegangen ist - oder, dass sich die Dinge so weit verändert haben, dass der andere Weg jetzt der richtige(re) ist (in der Kirche immer unter der Voraussetzung, dass er auch dem Willen Gottes entsprechen kann).
Meinen tiefsten Respekt für diese Erkenntnis und besonders auch dafür, dass sie nicht zu Resignation und Selbstmitleid führte, sondern zu öffentlicher Kritik am Irrweg der regionalen Bischofskonferenzen.
(Immer mehr glaube ich, dass diese BK maßgeblicher Teil des Problems sind)

Tante Ottilie vor 2 Tagen: Auch weltkirchlich

haben wir ja im vergangenen Pontifikat bis zum Überdruss Befreiungstheologisches zum Schmecken vorgesetzt bekommen.

Ist gottlob erstmal vorbei!

Stefan Fleischer vor 2 Tagen: Und wo bleiben solche Stimmen

bei uns in Europa, vonehmlich im Deutschen Sprachraum?

Um selbst Kommentare verfassen zu können nützen sie bitte die Desktop-Version.


© 2025 kath.net | Impressum | Datenschutz