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Kann ein Mensch eine Sache sein?

vor 2 Tagen in Kommentar, 8 Lesermeinungen
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Gedanken über die rechtsphilosophische Auffassung der möglichen Richterin des Bundesverfassungsgerichtes, Frauke Brosius-Gersdorf. kath.net-Kommentar von Rechtsanwalt Lothar C. Rilinger


Berlin (kath.net) Die beabsichtigte Wahl der Potsdamer Hochschullehrerin, Frauke Brosius-Gersdorf, hat endlich der breiten Öffentlichkeit vor Augen geführt, wohin Verfassungsrecht ohne den Rückbezug auf Gott führen kann. Seit Mitte der 1930-iger Jahre versucht Julian Huxley, der Bruder von Aldous Huxley, das christliche Menschenbild, das seinen Niederschlag im christlichen Humanismus gefunden hat, durch das atheistische transhumanistische zu ersetzen. Das Werden des Menschen wird nicht mehr als das Ergebnis eines göttlichen Schöpfungsaktes angesehen, nicht mehr als Ausdruck des Willens Gottes, dem Tier durch die Verleihung von Vernunft zum Menschen werden zu lassen – zum Wesen zwischen Gott und Tier. Im Transhumanismus wird die Menschwerdung ausschließlich als ein Schritt in der Evolution, befeuert durch eine permanente Eugenik, angesehen, so dass es keines Gottes bedurft habe, um dem Menschen zu ermöglichen, sein tierisches Wesen zu transzendieren. Er selbst – der Mensch – habe diesen Schritt vollzogen, ihm oblag die Macht, sich durch ein ständiges human enhancement, durch ein ununterbrochenes Selbstverbessern Vernunft anzueignen. Durch die sich im Geist widerspiegelnde Vernunft qualifiziert sich der Mensch selbst als ein Rechtssubjekt, das Rechte, insbesondere Menschenrechte wie das Recht auf Würde und auf Leben für sich reklamieren kann. Und da der Geist den Menschen zum Rechtsträger hat werden lassen, wird im Transhumanismus die Rechtsinhaberschaft auch nur an den Geist angekoppelt. Im christlichen Weltbild werden Menschenrechte als intrinsisch angenommen, als jedem Menschen, allein auf Grund seines Menschseins, zugeordnet, ohne dass ihm diese Rechte von Dritten zuerkannt werden müssten – allen Menschen, ohne Beachtung seiner Rasse, seiner Religion, seiner sexuellen Ausrichtung, seiner geistigen Fähigkeiten. Jeder, der als Homo sapiens angesehen wird, ist ein Mensch, der über Würde und alle weiteren Menschenrechte verfügen kann. Wenn er noch nicht oder nicht mehr diese Rechte ausüben kann, verbleiben sie nach christlicher Auffassung gleichwohl bei ihm. Sollte er diese nicht ausüben können oder dürfen, werden sie durch Erziehungsberechtigte oder Betreuer wahrgenommen.
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Im Transhumanismus wird aber von diesem Menschenbild Abstand genommen. Der Mensch wird nicht mehr als Einheit von Geist und Körper gesehen, sondern Geist und Körper werden getrennt als Dualismus angenommen. Der Körper soll danach nur noch der Knecht des Geistes sein, ein Leibeigener oder Sklave des Geistes, ohne Rechte, ohne Würde und damit auch ohne Menschenrechte. Nur der Geist soll die Funktion eines Rechtssubjektes übernehmen, ja, nur er habe Würde, nur er bestimme, was der Mensch ist. Die Folge dieses philosophischen Systems ist, dass nur Menschen, die über Geist, also über Selbstbewusstsein oder Vernunft, verfügen, für sich Würde und weitere Menschenrechte beanspruchen können. 

Vielleicht haben die Leser schon einmal gehört, dass ungeborene Menschen als „Zellhaufen“, als „parasitäre Zellhaufen“, als „Schwangerschaftsgewebe“ oder sogar als „Leichname“ bezeichnet werden. Mit diesen Begriffen wird camoufliert, dass ungeborene Menschen rechtlich als Sache angesehen werden, über die man, wie über eine Sache üblich, frei verfügen kann. Abtreibung wird deshalb nicht als Tötung eines Menschen angesprochen, sondern als Beseitigung einer Sache. Vor 30 Jahren wurde die Parole in die Welt geschrien: „Mein Bauch gehört mir!“ und damit war gemeint, dass alles, was sich im Körper befindet, wie Nahrung, Bier, Blut pp. und eben der Fötus im ausschließlichen Eigentum der Frau steht, über das sie frei verfügen könne. Der Fötus wird wie ein integraler Teil der Mutter angesehen, nicht als eine eigene Rechtspersönlichkeit, was er aber schon ist und ihm die Möglichkeit bietet, als Erbe eingesetzt werden zu können 

Helga Kuhse und Peter Singer, zwei Philosophen aus Australien, haben die Welt in Aufregung versetzt, als sie vor 40 Jahren gefordert haben, dass ungeborene Kinder, selbst noch einen Monat nach der Geburt, über kein Selbstbewusstsein verfügen können und deshalb strafrechtlich irrelevant getötet und als Sache beseitigt werden dürfen. Der christliche Philosoph Robert Spaemann hat sich heftig gegen diese atheistische Theorie gewandt, so dass es um sie ruhiger geworden ist. Doch im Zuge der Diskussion über den Transhumanismus wurde sie wieder virulent. Im Selbstbestimmungsgesetz wurden diese Ideen in den Vordergrund gerückt. In ihm ist geregelt worden, dass der Antragsteller, der in dem Moment, in dem er den Antrag stellt, zum Antragstellenden wird, um dann aber wieder sofort zum Antragsteller wird, weil der Antrag gestellt worden ist – dass also der Antragsteller jedes Jahr, ohne ein Gutachten vorlegen zu müssen, sein Geschlecht wechseln kann. Da der Körper keine Rolle mehr spielen soll, auch nicht die unhintergehbare Anordnung der Chromosomen, kann er sein Geschlecht so bestimmen, wie sein Geist es will. Aus diesem Grund gilt dieses Selbstbestimmungsgesetz auch als Speerspitze des Transhumanismus, mit dem das christliche Menschenbild überwunden werden soll.

Frau Brosius-Gersdorf hat das ursprüngliche christliche Menschenbild als biologistisch-naturalistisch verworfen und damit begründet, dass ungeborene Menschen mangels Geistes nicht über das Menschenrecht auf Würde verfügen können. Damit hat diese Juristin offen bekannt, dass sie das atheistische transhumanistische Weltbild vertritt, so dass die Menschenwürde nicht am Menschen an sich festgemacht wird, sondern nur am Geist. Da ungeborene Menschen über keinen Geist verfügen sollen, könnten sie auch nicht über Würde und über weitere Menschenrechte verfügen. Damit hat sie sich auf eine slippery lane, auf eine schiefe Ebene begeben, auf der es leider kein Halten mehr geben kann. Wenn die Frage: „Was ist der Mensch?“ mit dem Hinweis beantwortet wird, dass ungeborene Menschen über keinen Geist verfügen und deshalb auch nicht als Menschen im Sinne von Art. 1 Grundgesetz angesehen werden müssen, also mangels Menschseins über keine Würde verfügen können, ist es nur noch ein kleiner Schritt, um den Schutz der Menschenwürde auch anderen Menschen, die auf Grund von Krankheit, Unfall oder durch die Geburt über kein Geist oder Selbstbewusstsein verfügen können, zu entziehen. Immer wenn in der Menschheitsgeschichte Menschen das Menschenrecht auf Würde entzogen worden ist, sei es aus rassistischen, religiösen oder klassenkämpferischen Gründen, endeten diese politischen Systeme in der Barbarei. 

Die Kirche hat den Beginn menschlichen Lebens mit der Befruchtung der Eizelle angenommen, das Bundesverfassungsgericht mit der Nidation der befruchteten Eizelle, so dass rechtlich der Mensch mit der Nidation beginnt. Er besteht zuerst nur aus zwei Zellen, doch er ist schon komplett. Kein Einfluss kann ihn noch ändern, er ist vollständig angelegt. Er lebt – er ist kein werdendes Leben, sondern ein fertiges Leben, er entwickelt sich, so wie sich jeder Mensch bis zum Tod entwickelt.

Im Transgenderrecht und im Abtreibungsrecht wird eine rechtliche Entwicklung vorangetrieben, die nicht mehr den Ausgleich zwischen den Interessen der einzelnen Menschen sucht, sondern die Privilegierung eines Teils der Gesellschaft und eines anderen zum Opfer. Gerichtsentscheidungen sollen die Menschen befrieden, damit ein friedliches Miteinander gewährt wird. Wird jedoch eine Vertreterin, wie Prof Brosius-Gersdorf, vorgeschlagen, die von diesem Grundsatz abweicht und eigene Ideen zu Lasten Dritter durchsetzen möchte, ist sie fehl am Platz. Eine Definition des Menschen wie im Transhumanismus als Rechtssubjekt oder als Rechtsobjekt, als Rechtsträger oder als Sache, können wir uns gerade vor dem Hintergrund unserer eigenen Geschichte während der Zeit zwischen 1933 und 1945 nicht leisten. Diese Kandidatin mag ja eine gute Juristin sein, für das höchste deutsche Gericht ist sie aber denkbar ungeeignet.

Lothar Rilinger (siehe Link) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht i.R., stellvertretendes Mitglied des Niedersächsischen Staatsgerichtshofes a.D., und Autor mehrerer Bücher.

kath.net-Buchtipp:
Christentum und Verfassung
Ein Dualismus oder doch eine Einheit?
Von Lothar Christian Rilinger
Hardcover, 262 Seiten
2025 Editiones Scholasticae; Verlag Editiones Scholasticae
ISBN: 978-3-86838-300-3
Preis Österreich: € 51,30
Preis Deutschland € 49,90
Preis e-book: € 19.90

Foto links: Lothar C. Rilinger (c) privat


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Lesermeinungen

lesa vor 17 Stunden: Weg, Wahrheit und Leben - durch das Recht zu schützen

Welch ein Segen ist eine solche Klarstellung!

SalvatoreMio vor 32 Stunden:

Sehr herzlichen Dank, Herr Rilinger, für diesen überaus wertvollen Beitrag. Dadurch habe ich eine Menge hinzugelernt!

blaulaub vor 2 Tagen: Ein sehr kluger Artikel

von Herrn Rilinger.
Fragt sich nur, ob eine Frauke B-G diese in sich absolut schlüssige Logik anerkennen würde.

Meine Schwiegermutter (88 Jahre) lebt -- hochgradig dement -- seit 4 Jahren im Pflegeheim. Sie ist im Grunde auch "nicht lebensfähig", absolut hilflos und sich ihrer selbst wenig bewusst.
Sie ist eigentlich wie ein Embryo.
Nach der Definition von B-G eigentlich "ohne Würde".

"Zellhaufen"/ Mikrobiologie:
Unser ganzes Universum, ca. 13,7 Milliarden Jahre alt, Raumausdehnung durch Expansion und Hyperexpansion ("inflationär") zu Beginn, war einmal kleiner als ein Atom(!).
Daraus ging alles hervor (Sterne, Planeten, Galaxien).

Deshalb ist Abtreibung so schlimm:
Sie tötet nicht nur, sie negiert auch die dem Allerkleinsten innewohnende Entwicklungs-/ Entfaltungsmöglichkeit.
Das entscheidende Pars pro toto.

Auch eine Bach-Fuge in ihrer ganzen Komplexität (und es gibt extrem komplexe Fugen, bin selbst Musiker) würde nicht zu derselben werden ohne den Keim, die Zelle ihres Themas.

modernchrist vor 2 Tagen: Der Mensch ist ab der Befruchtung

DNAmässig als Mensch festgelegt, kann sich in den ersten Stunden noch zu Zwillingen teilen. Ab diesem Zeitpunkt ist er naturwissenschaftlich ein menschliches Lebewesen, dh. ein Mensch. Ab diesem Zeitpunkt ist auch der ungeborene Hund im Bauch der Hündin ein kleiner Hund!
Lebewesen gibt es nur als festgelegte Spezies, hier als Spezies Mensch. Dazu braucht man keine Religion, um das zu erkennen. Diesem ungeborenen Menschen Geist abzusprechen: Warum kann er Musik hören und sie sich schon merken? Warum kann er Erlebnisse in der Schwangerschaft als traumatisch erleben? Warum ist das Bonding zwischen Mutter und Kind erforscht und auch so wichtig? Ferner: Es gibt Geborene, deren "Geist" geschädigt oder nicht erkennbar ist. Was ist mit ihnen?

beertje vor 2 Tagen: ???

Ungeborene SIND Geist, der sich in der Inkarnation befindet !!!

AngelView vor 2 Tagen: Menschen werden regelmäßig wie Sachen behandelt

Zu Recht gibt es bei diesem Thema die Empörung darüber, ob ein Kind vor der Geburt und da ab wann ein Mensch ist oder nur eine Sache, über die man beliebig verfügen kann bis hin zur Tötung.
Aber jetzt mal ganz nüchtern und ehrlich: In wievielen anderen Fällen tagtäglich werden Menschen wie Sachen behandelt? Egal, ob Arbeitswelt, Politik, Gesundheit, etc.? Dass man da immer über Menschen mit einem freien Willen, eigenen individuellen Bedürfnissen und Rechten spricht, ist kaum einen Gedanken wert, solange das System - möglichst gewinnbringend - funktioniert. Formal wird mit vielen Gesetzen "der Mensch" geschützt, aber in Wirklichkeit ist es "das System" bzw. ein funktionierender Apparat.
Wohin Leben ohne Rückbezug auf Gott führt, sehen wir tagtäglich. Dazu braucht es die Frage des Schwangerschaftsabbruchs.

apostolisch vor 2 Tagen: Lebensende

Der Hinweis darauf, dass die unantastbare Würdigung des Menschen ja nicht nur am Anfang, sondern auch am Ende des Lebens in Gefahr gerät, wenn man einmal begonnen hat, sie zu relativieren, wird oft als übertriebene Sorge und vorgeschobenes Argument abqualifiziert.

Aber das ist schon heute sehr relevant! Auch am Ende des Lebens besteht schon heute eine Definition, welche dem Menschen sein Recht auf Leben abspricht: der Hirntod. Es ist also heute schon möglich, straffrei einen Menschen zu töten, dessen Herz noch schlägt und dessen Kreislauf intakt ist. Da die Organe als nützliche angesehen werden als der Mensch, in dem sie wirken.

Das ist keine Horror Fantasie, sondern aktuelle Realität! Mir soll keiner sagen, dass es morgen nicht vielleicht noch zwei Drei weitere interessante Definitionen geben wird, welche das Recht auf Leben absprechen.

kleingläubiger vor 2 Tagen:

Gottlosen Ideologien wohnt immer Menschenfeindlichkeit inne.

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