kath.net katholische Nachrichten

Aktuelles | Chronik | Deutschland | Österreich | Schweiz | Kommentar | Interview | Weltkirche | Prolife | Familie | Jugend | Spirituelles | Kultur | Buchtipp


Schwarze Legende zum 20. Juli 1933

vor 2 Tagen in Kommentar, 3 Lesermeinungen
Artikel versenden | Tippfehler melden


Zu dem deutsch-vatikanischen Konkordat vom Juli 1933 wird die außenpolitische Relevanz maßlos überschätzt, um die Kirche zu diffamieren - Gastkommentar von Hubert Hecker


Köln (kath.net)

Zu dem deutsch-vatikanischen Konkordat vom Juli 1933 wird die außenpolitische Relevanz maßlos überschätzt, um die Kirche zu diffamieren.   

I.

Rufschädigende Falschbehauptungen über Personen oder Institutionen, die über lange Zeiträume verbreitet und geglaubt werden, nennt man schwarze Legenden. Mit einer solchen verfestigten Verleumdung wird ab den 1960er Jahren das Konkordat angeschwärzt, das am 20. Juli 1933 zwischen dem Deutschen Reich und dem Vatikan in der Person von Staatssekretär Eugenio Pacelli unterzeichnet wurde.

Man behauptet: Mit dem Konkordatsabschluss hätten sich Papst und Kirche der Ideologie des Nationalsozialismus angebiedert, dem NS-Unrechtsstaat Anerkennung verschafft und der Hitler-Regierung zu internationalem Prestige verholfen. 

Selbst das halbstaatliche Online-Museum LEMO, betreut vom Deutschen historischen Museum Berlin, dem Haus der Geschichte in Bonn sowie vom Bundesarchiv, verbreitet diese schwarze Legende:

Für die damalige Reichsregierung sei der Konkordatsvertrag entscheidend gewesen, um „die internationale Isolierung Deutschlands nach der Machtübernahme zu durchbrechen. Als internationales Abkommen hätte „das Konkordat zur Reputation des NS-Regimes im Ausland beigetragen“ und wäre damit „ein wichtiger erster Erfolg der nationalsozialistischen Außenpolitik“ gewesen. Viele andere Texte sprechen ebenfalls vom diplomatisch „isolierten Deutschland“ und vom Konkordat als „erstem völkerrechtlichen Vertrag“ Hitlers (CICERO).

II.

Aber so war es nicht. Die außenpolitische Wirklichkeit sah anders aus. Von der behaupteten internationalen Isolierung Deutschlands keine Spur – im Gegenteil:

• Im ersten Kabinett der Hitler-Regierung signalisierte der parteilose Außenminister Konstantin von Neurath, schon seit Juni 1932 im Amt, die bruchlose Fortsetzung der Außenpolitik seiner Vorvorgänger Stresemann und Brüning.

• Bei der Genfer Abrüstungskonferenz des Völkerbundes wurde das Deutsche Reich ausdrücklich als „gleichberechtigter“ Verhandlungspartner akzeptiert.

• In der Regierungserklärung vom 17.5.1933 versprach Kanzler Hitler: Wir werden „die nationalen Rechte der anderen Völker respektieren und möchten mit ihnen in Frieden und Freundschaft leben“. In diesem Sinne begrüßte die deutsche Regierung die damals laufenden Verhandlungen zum „Großen Friedensplan“ des italienischen Staatschefs.

• Am 15. Juli 1933 unterzeichneten die beiden westlichen Großmächte England und Frankreich sowie Italien und Deutschland den „Viererpakt über Verständigung und Zusammenarbeit“ in Europa mit der Verpflichtung, im Geiste des Völkerbundes und des Briand-Kellog-Paktes alle völkerrechtlichen Fragen gemeinsam zu beraten und den Frieden zu wahren.  

• Zwischen dem 30. Januar und dem Konkordatsabschluss am 20. Juli 1933 konnte das Deutsche Reich drei weitere multilaterale Staatsverträge abschließen sowie 40 (!) bilaterale völkerrechtliche Verträge mit 21 Staaten und einem zionistischen Unternehmen in Palästina (Prof. Konrad Rebgen, FAZ am 4.3.2003).   

III.

Die genannten historischen Fakten sind den Direktoren der oben erwähnten staatlichen Institutionen sowie den beratenden Geschichtswissenschaftlern allesamt bekannt, aber sie lassen sie unter den Tisch fallen. Warum?

Durch das Verschweigen der 44 zwischenstaatlichen Verträge der damaligen Reichsregierung im ersten Halbjahr 1933 soll die gegenteilige These lanciert werden, dass die Hitlerregierung international isoliert gewesen wäre.

Diese Falschbehauptung ist wiederum Voraussetzung für die finale These, der Vatikan sei mit dem Konkordatsabschluss Türöffner für Hitlerdeutschlands „Aufnahme in die Staatengemeinschaft“ (Daniel Deckers) gewesen.

Der Dreischritt von Verschweigen, Falsch-Behauptung sowie fehlerhafte Folge-Interpretation läuft auf eine Geschichtsfälschung interessierter Kreise hinaus mit dem Ziel, Kirche und päpstliche Kirchenführung in ein negatives Licht zu stellen oder sie gar der Nazi-Affinität zu bezichtigen.  

IV.

Die Zielthese enthält darüber hinaus die unzutreffende Unterstellung, als wenn sich die anderen europäischen Staaten in ihrer Außenpolitik gegenüber Deutschland am Vatikan und speziell an dem Konkordatsvertrag orientiert hätten.

• In Wirklichkeit war der Inhalt des Konkordatsvertrags, etwa die Förderung konfessioneller Schule oder das Verbot parteipolitischer Betätigung von Geistlichen und kirchlichen Vereinen,  für die meisten europäischen Staaten irrelevant oder wurde für ihre Länder abgelehnt.

• Bei ihrer außenpolitischen Richtung verließen sich die damaligen europäischen Staaten auf eigene Einschätzungen, auch beeinflusst durch innen- und nationalpolitische Interessenkonstellationen - etwa der linken Volksfrontregierungen in Frankreich und Spanien, des rechtsliberalen Kabinetts in Groß Britannien, der protestantischen Staaten in Skandinavien oder der national-autoritären Regimes auf dem Balkan.

V.

Als Stütz-Argument für die internationale Bedeutung des Konkordats wird auch die „moralische Autorität“ des Vatikans ins Spiel gebracht. Zwar hatte die Behauptung vom Papsttum als „höchster sittlicher Macht auf Erden“ und dessen Einfluss auf die staatlichen „Oberhäupter“ damals auch der Münchener Kardinal Faulhaber aufgestellt. Aber die These von der moralischen Oberhoheit des Papstes gegenüber weltlichen Herrschern war in Wirklichkeit schon seit Beginn der Neuzeit obsolet geworden. Gleichwohl wurde und wird im Diskurs zur vatikanischen Diplomatie bis heute die Formel der ‚moralischen Autorität‘ von Papst und Kirche immer wieder in Stellung gebracht – in diesem Fall im Duktus der Anklage:

Statt sein hohes moralisches Ansehen international dafür einzusetzen, den totalitären und antisemitischen Ansatz der Hitlerregierung zu brandmarken, hätte der Papst mit dem deutsch-vatikanischen Konkordatsvertrag ein internationales Signal von verharmlosender Anerkennung der NS-rassistischen Staatsführung gesetzt, dem die anderen Staaten anschließend gefolgt seien.

Realpolitisch war es aber höchst unwahrscheinlich, dass etwa England und Frankreich ihre außenpolitischen Beziehungen zu Deutschland vom moralischen Status des Kleinstaates Vatikan und dessen kirchenpolitischen Verträgen abhängig gemacht hätten.

Tatsächlich verhandelten die beiden führenden europäischen Westmächte schon seit April 1933 aus eigenem Antrieb mit Hitlerdeutschland. Im Ergebnis akzeptierten sie durch den sogenannten „Viererpakt“ (siehe oben) eine Woche vor dem Konkordatsabschluss  Hitlerdeutschland als Bündnispartner.

Insbesondere England verfolgte von Anfang an eine Politik des Appeasements. Die britische Regierung unterstützte sogar Hitlers Revisions- und Aufrüstungspolitik mit dem Flottenvertrag von 1935. Der ehemalige Premierminister Lloyd George erklärte 1936 Hitler zum herausragenden deutschen Leader als „George Washington of Germany“. Noch im Mai 1938, als der NS-Antisemitismus unübersehbar war, zeigte die englische Fußballnationalmannschaft vor dem Länderspiel in Hamburg beim Abspielen des Deutschlandlieds geschlossen den Hitlergruß. Auch Politiker aus Frankreich waren beeindruckt von Hitlers Aufbauleistung für Deutschland, ohne die totalitäre Unterdrückung und den NS-Antisemitismus zu verurteilen.  

Der Vatikan dagegen hatte schon 1934 eine wissenschaftliche Kommission eingesetzt, die zu „Rassismus, Faschismus, Totalitarismus und Bolschewismus“ eine fundierte Resolution ausarbeitete. Die Ergebnisse gingen in drei vatikanische Verlautbarungen in den folgenden Jahren ein.

VI.

Als Resümee ist festzuhalten:

Deutsche Historiker verbreiten wider besseres Wissen eine Schwarze Legende zulasten der Kirche. Sie unterstellen fälschlich eine Isolierung Deutschlands, die durch den Konkordatsvertrag aufgebrochen worden wäre. Damit hätte der Vatikan entscheidend zur internationalen Aufwertung des NS-Unrechtsstaats beigetragen.

Alle Punkte und Unterstellungen dieser Argumentationslinie sind unzutreffend. Im Gegenteil: Die Staaten Europas und aus aller Welt arbeiteten in Verhandlungen und Verträgen wie vorher mit der legal installierten Hitler-Regierung ab Februar 1933 eng zusammen. Die Westmächte England und Frankreich unterzeichnete sogar vor dem Konkordatsabschluss einen Bündnis-Pakt mit Deutschland. Insbesondere England unterstützte Hitlers Revisionspolitik.

Unter Annahme der These, dass bi- und multilaterale Verhandlungen und Abkommen zum Prestigegewinn der Hitler-Regierung beigetragen hätten, wären es vorrangig viele ausländische Vertragspartner und insbesondere die europäischen Westmächte gewesen, die seit Anfang 1933 zur internationalen Anerkennung und Aufwertung von Hitler-Deutschland beigetragen hätten.

Wenn aber ein solcher Prestigezuwachs nachträglich dem Agieren des Vatikans zugeschoben wird, betreiben die Vertreter dieses Narrativs ein Sündenbockverfahren, indem die primäre Förderung des Hitler-Staates durch andere Mächte dem damaligen Papst Pius XI. und seinem Staatssekretär Eugenio Pacelli aufgebürdet wird.


Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte helfen Sie kath.net und spenden Sie jetzt via Überweisung oder Kreditkarte/Paypal!

Tweet 




Lesermeinungen

girsberg74 vor 19 Stunden: Den wesentlichen Inhalt dieses Beitrags,

- eigentlich alles -, sollte man sich schon merken !

rosenstaedter vor 2 Tagen: "Als der Wagen nicht kam" Buch von Manfred Lütz über Paulus van Hussen

Zitat, Buch passend zum 20. Juli:

"Als Mitglied des Kreisauer Kreises fühlt sich Paulus van Husen von seinem Gewissen aufgerufen, Widerstand gegen die NS-Diktatur zu leisten, auch unter Einsatz des Lebens.

In seinen Erinnerungen schildert Paulus von Husen, wie ihn der Erste Weltkrieg aus seinem wohlgeordneten Leben wirft, wie er in die internationale Politik und nach 1933 in Konflikt mit den Nazis gerät.

Er erzählt, wie er Claus Schenk Graf von Stauffenberg begegnet, nach dem missglückten Attentat auf Adolf Hitler verhaftet wird und die Gestapo-Verhöre und das KZ mit Glück und Geschick überlebt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird Paulus von Husen schließlich der erste Verfassungsgerichtspräsident Nordrhein-Westfalens, seine fesselnde Lebensgeschichte liest sich wie ein Roman.

»Nicht nur zeitgeschichtlich und literarisch ausgesprochen interessant, sondern auch ein faszinierendes Zeugnis des Widerstandes gegen das NS-Regime aus dem Geist des Katholizismus.« (Deutschlandfunk)"

ThomasR vor 2 Tagen: dem Konkordat 1933

folgte Enzyklika Mit brenennder Sorge- einzige Enzyklika eines Papstes in deutscher Sprache

Korrektiv des Konkordates und den Fehlentwicklungen in der Kirche (in der Fuldaer Erklärung bestand zwar die Kirche auf die Freiheit der katholoischen Jugendorganisationen aber anerkannte auch die Obrigkeit der Regierung von NSDAP)

Es war leider die Kirche die weder NSDAP noch Hitler selsbt nicht exkommunizierte und NSDAP_Mitglieder wenigstens formal aus dem Empfang der Sakramente nicht ausschloss.

- um die Kirchensteuereinnahmen zu sichern?

Das Erwachen kam zu spät als um 4,5 TSD Priester (auch aus Deutschland vgl. Unzeitig, Häffner, Andritzki, Lichtenberg starb auf dem Weg nach Dachau) bereits in KZL Dachau inhaftiert wurden wo um 900 Priester Tod fand.

de.wikipedia.org/wiki/Mit_brennender_Sorge

Um selbst Kommentare verfassen zu können nützen sie bitte die Desktop-Version.


© 2025 kath.net | Impressum | Datenschutz