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vor 24 Stunden in Kommentar, 1 Lesermeinung
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„Zwischen Siedlergewalt, islamistischer Unterdrückung und internationalem Schweigen – das stille Verschwinden einer alten Glaubensgemeinschaft.“ Gastbeitrag von Archimandrit Andreas-Abraham Thiermeyer
Damaskus-Jerusalem (kath.net) Taybeh, das biblische Ephraim, liegt unweit von Ramallah im Westjordanland und ist das letzte ausschließlich christlich bewohnte Dorf der Region. Die 1.300 Einwohner leben unter wachsender Bedrohung: In den vergangenen Wochen kam es zu wiederholten Übergriffen durch radikale israelische Siedler. Felder wurden in Brand gesteckt, Friedhöfe geschändet, Kirchen angegriffen.
Die drei Dorfpfarrer – katholisch, griechisch-orthodox und melkitisch – sprechen einmütig von einer „systematischen Auslöschung“. Ohne internationalen Schutz, so ihr Appell, drohe dem Ort dasselbe Schicksal wie vielen christlichen Gemeinden in der Region: das Verschwinden.
Politischer Druck und stille Duldung
Diese Angriffe sind kein Zufall. Kirchenführer wie Patriarch Theophilos III. und Kardinal Pierbattista Pizzaballa machen deutlich: Die Gewalt folgt einem Muster. Die israelischen Behörden greifen oft nicht ein, Notrufe bleiben unbeantwortet, Angreifer werden selten zur Rechenschaft gezogen.
Die politische Linie der aktuellen israelischen Regierung – unter Premierminister Benjamin Netanjahu und den ultranationalistischen Ministern Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich – steht in der Kritik. Ihre Agenda stärkt eine Siedlerbewegung, die christliche Präsenz als Fremdkörper betrachtet. In Jerusalem häufen sich Übergriffe auf Priester und kirchliche Einrichtungen – Ausdruck eines wachsenden religiösen Fanatismus auf beiden Seiten.
Gaza: Christliche Zuflucht unter Beschuss
Besonders dramatisch ist die Lage im Gazastreifen. Weniger als 800 Christen leben dort unter über 2,4 Millionen Muslimen – inmitten eines von der Hamas kontrollierten Gebiets. Zwei Kirchen – die katholische Pfarrei „Heilige Familie“ und die griechisch-orthodoxe St.-Porphyrios-Kirche – dienen als letzte Zufluchtsorte für Gläubige und Zivilisten.
Während der jüngsten Militäraktionen im Gazastreifen 2023 und erneut 2024/2025 wurden beide Kirchen mehrfach von Bombenangriffen bedroht. Im Oktober 2023 wurde das Gelände der orthodoxen St.-Porphyrios-Kirche bei einem israelischen Luftangriff schwer beschädigt. Mindestens 18 Zivilisten, die dort Schutz gesucht hatten, kamen ums Leben. Die römisch-katholische Pfarrei blieb bis gestern unversehrt, beherbergt sie doch unter schwierigsten Bedingungen über 600 Menschen, darunter viele alte, kranke und verletzte Gläubige.
Doch jetzt sind selbst diese Schutzräume nicht mehr sicher: Am 17. Juli 2025 wurde das Gelände der katholischen Pfarrei durch Beschuss getroffen. Drei Menschen starben, mehrere Menschen wurden verletzt – unter ihnen auch der Pfarrer Gabriel Romanelli. Der argentinische Ordensgeistliche war dem verstorbenen Papst Franziskus persönlich verbunden. Die Kirche wurde beschädigt, Augenzeugen sprechen von einem Panzergeschoss.
Papst Leo XIV. reagiert mit „tiefer Trauer“ auf den israelischen Angriff auf die einzige katholische Pfarrei im Gazastreifen. In einem Telegramm fordert er an diesem Donnerstag einen „sofortigen Waffenstillstand“. Kardinal Pizzaballa äußerte sich gegenüber Radio Vatikan erschüttert: „So etwas darf sich niemals wiederholen. Wir werden sie nicht im Stich lassen.“
Alltag unter islamistischer Kontrolle
In Gaza wird das Leben der Christen zusätzlich durch eine gezielte Islamisierung erschwert. Christliche Mädchen müssen an öffentlichen Schulen Kopftuch tragen, christliche Feiertage werden ignoriert, Alkohol ist verboten. Die Hamas nutzt die verbliebene christliche Minderheit als symbolisches Feigenblatt gegenüber dem Westen – doch realen Schutz bietet sie nicht.
Und dennoch bleiben viele: Priester, Ordensfrauen und Freiwillige leisten in den Kirchen humanitäre Hilfe – unter lebensgefährlichen Bedingungen. Die Kirchen sind zu Orten des Überlebens geworden – für Christen und Muslime gleichermaßen.
Marginalisierung im Westjordanland
Auch jenseits Gazas wird das Leben für Christen schwieriger. Im Westjordanland schrumpfen christliche Gemeinden rapide. Gewalt durch Siedler, administrative Schikanen, ein restriktives Genehmigungssystem – all das prägt den Alltag. Über 100 verschiedene Permits regeln selbst banale Dinge wie Arztbesuche oder den Kirchgang an Feiertagen. Demokratische Rechte? De facto aufgehoben.
Blick nach Syrien: Die stille Isolation
Seit Ende 2024 verschlechtert sich auch die Lage der Christen in Syrien rapide. Die islamistische Regierung setzt zunehmend auf religiöse Kontrolle: Kopftuchpflicht, wirtschaftliche Diskriminierung, Isolation von der Außenwelt. Zwischen 300.000 und 700.000 Christen leben dort – ohne Perspektive, ohne Schutz.
Grenzen kirchlicher Hilfe
Kirchliche Organisationen wie „Christen helfen Christen im Heiligen Land“ versuchen, mit Gebet, Spenden und konkreten Projekten zu helfen. Der Verkauf von Olivenholzarbeiten aus Bethlehem stützt Familien wirtschaftlich – doch der Pilgertourismus ist eingebrochen, Spendenflüsse stocken. Einige Banken blockieren aus politischen Gründen Überweisungen – ohne offizielle Sanktionen. Die Hilfsketten reißen.
Bleiben – oder gehen?
Die Frage stellt sich täglich für Tausende: Viele Christen in Palästina und Israel sehen in der Auswanderung ihre letzte Option. In Bethlehem allein verließen in den vergangenen zwei Jahren über 100 Familien ihre Heimat. Der Exodus schreitet voran – ausgelöst durch Angst, Armut und Perspektivlosigkeit.
Und dennoch: Nicht wenige bleiben. Aus tiefem Glauben, familiärer Bindung, Heimatverbundenheit. „Wir sind keine Gäste“, sagt ein Priester in Gaza, „wir sind das Volk dieses Landes.“ Doch wie lange noch?
Ein Angriff, der zum Wendepunkt werden muss
Der heutige Angriff (17. Juli 2025) auf die katholische Pfarrei in Gaza ist kein isolierter Vorfall – sondern ein Symptom eines sich verschärfenden Gesamtbildes. Schwerverletzte, ein verwundeter Priester, ein beschädigtes Gotteshaus – all das im vermeintlich sicheren Raum einer Kirche.
Die Reaktionen – von Papst Leo XIV., Kardinal Pizzaballa über europäische Bischofskonferenzen bis hin zu Italiens Premierministerin Giorgia Meloni – sind deutlich. Die gezielte Tötung von Zivilisten sei nicht zu rechtfertigen. Israel versprach Aufklärung – doch ohne politischen Wandel bleibt der Schutz religiöser Minderheiten ein leeres Versprechen.
Fazit: Das Heilige Land braucht seine Christen
Die einheimischen Christen im Heiligen Land kämpfen nicht nur um ihr religiöses Erbe – sondern um ihr nacktes Überleben. Inmitten eines zunehmend feindlichen Umfelds verkörpern sie eine Stimme der Versöhnung, der Mäßigung, des Glaubens.
Wenn diese Stimme verstummt, verliert das Heilige Land nicht nur einen Teil seiner Geschichte – sondern auch seine Zukunft.
Die Welt darf nicht länger schweigen. Wer das Erbe der heiligen Stätten bewahren will, muss jetzt handeln – mit klaren Worten, politischem Druck und tätiger Solidarität. Denn ohne seine Christen ist das Heilige Land nicht mehr das Heilige Land.
Über den Autor: Archimandrit Dr. Andreas-Abraham Thiermeyer (Link) ist Theologe mit Schwerpunkt auf ökumenischer Theologie, Ostkirchenkunde und ostkirchlicher Liturgie. Er studierte in Eichstätt, Jerusalem und Rom, war in verschiedenen Dialogkommissionen tätig, Konsultor der Ostkirchenkongregation in Rom, Gründungsrektor des Collegium Orientale in Eichstätt und veröffentlicht regelmäßig zu Fragen der Ostkirchen-Theologie, der Liturgie der Ostkirchen und des Frühen Mönchtums.
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Richelius vor 18 Stunden:
Irgendetwas stimmt da nicht: ein Priester katholisch, einer orthodox, einer melkitisch.
Melkiten sind Katholiken!
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