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Bemerkenswerte Rede von Papst Leo über Kardinal Merry del Val, Mitarbeiter von Leo XIII. und Pius X.

vor 5 Stunden in Aktuelles, 1 Lesermeinung
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Aus den Worten von Papst Leo XIV. entsteht das Porträt eines lehramtstreuen Kardinals, der in großer persönlicher Frömmigkeit und Demut lebte – Die Papstrede in voller Länge – Von Petra Lorleberg


Vatikan (kath.net/pl) Mit Staunen mag man auf die Worte von Papst Leo XIV. über Kardinal Rafael Merry del Val (1865 bis 1930) reagieren, siehe unten. Leo äußerte sich bei einem Empfang von Mitgliedern einer Vereinigung, die das Andenken dieses Kardinal pflegen.

Katholische Nachrichtendienste des deutschsprachigen Raums titelten zu diesem Thema: „Papst Leo hält Lobrede auf katholischen Hardliner Merry del Val“. Mit dieser Wertung stehen die deutschsprachigen katholischen Nachrichtendienste aber eher einsam da. Schon der deutschsprachige Auftritt von „Vatican News“ schreibt: „Papst würdigt Kardinal Rafael Merry del Val“. International geht der Tenor der Überschriften eher in die Richtung des spanischsprachigen Portals „Religión digital“: „Leo XIV. erinnert an das Erbe von Merry del Val, einem wahren Diplomaten der Begegnung“.

Merry del Val war ein Vatikandiplomat der Extraklasse, was schließlich auch dazu führte, dass er sogar in den Vatikanischen Grotten in der Nähe vieler Papstgräber beigesetzt wurde. Der Seligsprechungsprozess für ihn läuft, er ist bereits als „Diener Gottes“ anerkannt. Wie jeder Mensch war Merry del Val natürlich auch als Kind seiner Zeit unterwegs, so möchte man sein Engagement gegen die Ökumene innerhalb der Christenheit heute nicht mehr teilen. Ein wirklicher Makel in seiner Biographie bleibt allerdings seine mangelnde Versöhnungsbereitschaft mit dem Judentum. Ob er seine Haltung nach den unglaublichen Schrecken des Holocaust mit ca. 6 Millionen ermordeten Juden geändert hätte, lässt sich nicht mehr sagen, denn er starb 1930 – jedenfalls war die katholische Kirche gut beraten, hier ihre Einstellung sehr grundsätzlich weiterzuentwickeln und sich dem Dialog und der Freundschaft mit dem Judentum zu öffnen. Eine eventuelle Seligsprechung müsste diesen Aspekt deutlich herausarbeiten.

kath.net dokumentiert die Rede von Papst Leo XIV. in voller Länge in eigener Arbeitsübersetzung:

Guten Morgen.
Liebe Brüder und Schwestern,
Anlässlich seines 160. Geburtstags danken wir dem Herrn für die Gestalt des Dieners Gottes Rafael Merry del Val, der 1865 in London in einem Umfeld geboren wurde, in dem Weltoffenheit alltäglich war. Als Sohn eines spanischen Diplomaten und einer englischen Mutter genoss er eine kosmopolitische Kindheit, die ihn von klein auf an verschiedene Sprachen und Kulturen gewöhnte. Er wuchs in einer Weltanschauung auf, die er später als Berufung der Kirche erkannte. Diese Erziehung bereitete ihn darauf vor, in einer von großen Herausforderungen geprägten Zeit ein gelehriges Werkzeug im diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls zu sein.

Schon in jungen Jahren wurde er in den Dienst Leos XIII. berufen, um sensible Themen zu behandeln. Kurz darauf wurde er als Apostolischer Delegat nach Kanada entsandt, wo er sich für die Einheit der Kirche und das katholische Bildungswesen einsetzte. Er war Student an der heutigen Päpstlichen Diplomatenakademie, einer Institution, der er später vorstand und die heute, 325 Jahre nach ihrer Gründung, an seine lange Tradition erinnert, Herzen für den treuen und großherzigen Dienst des Apostolischen Stuhls zu formen. Dort verstand er – und gab durch sein Beispiel weiter –, dass die Diplomatie der Kirche gedeiht, wenn sie in priesterlicher Treue gelebt wird, in einem Herzen, das seine Talente Christus und der vertrauensvollen Sendung des Nachfolgers Petri anbietet (vgl. 1 Kor 4,1-2).


Er war erst 35 Jahre alt, als er zum Titularerzbischof von Nicäa ernannt wurde, und wenige Jahre später, 1903, kreierte ihn der heilige Pius X. mit gerade einmal 38 Jahren zum Kardinal und ernannte ihn zu seinem Staatssekretär. Seine Jugend war jedoch kein Hindernis, denn die Geschichte der Kirche lehrt, dass wahre Reife nicht vom Alter abhängt, sondern von der Identifikation mit dem Maß der Fülle Christi (vgl. Eph 4,13). Was folgte, war ein Weg der Treue, Diskretion und Hingabe, der ihn zu einer der bedeutendsten Persönlichkeiten der päpstlichen Diplomatie des 20. Jahrhunderts machte.

Doch er war nicht nur ein Schreibtischdiplomat: In Rom war er unter den Kindern und Jugendlichen von Trastevere sehr präsent, die er katechisierte, ihnen die Beichte abnahm und sie liebevoll begleitete. Dort erkannten sie ihn als einen nahestehenden Priester, einen Vater und einen Freund. Es ist diese doppelte Dimension – Regierungsdiplomat und nahestehender Seelsorger –, die seiner Persönlichkeit einen besonderen Reichtum verleiht, denn er verstand es, den Dienst an der Weltkirche mit der konkreten Aufmerksamkeit für die Kleinsten zu verbinden (vgl. 1 Petrus 5,2-3).

Sein Name ist mit einem Gebet verbunden, das viele von uns kennen: der Litanei der Demut. Der Geist, mit dem er seinen Dienst verrichtete, ist deutlich spürbar. Erlauben Sie mir, auf einige davon näher einzugehen, denn sie stellen ein gültiges Vorbild für alle dar, die in Kirche und Welt Verantwortung tragen, insbesondere für Diplomaten des Heiligen Stuhls.

„Vom Wunsch, gelobt zu werden … Errette mich, o Herr!“ Der Wunsch nach Anerkennung ist eine ständige Versuchung für diejenigen, die Verantwortung tragen. Kardinal Merry del Val kannte ihn gut, da seine Ernennungen ihn in den Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit rückten. Doch tief in seinem Gebet bat er darum, vom Beifall verschont zu bleiben. Er wusste, dass der einzige wahre Triumph darin besteht, jeden Tag sagen zu können: „Herr, ich bin dort, wo du mich haben willst, und tue, was du mir heute anvertraust.“ Diese stille Treue, unsichtbar für die Augen der Welt, ist es, die Bestand hat und Früchte trägt (vgl. Mt 6,4).

„Vom Wunsch, um Rat gefragt zu werden … Errette mich, o Herr!“ Er stand Benedikt XV. und Leo XIII. nahe und war ein direkter Mitarbeiter des heiligen Pius X. Er hielt sich vielleicht für unentbehrlich, doch stattdessen zeigte er uns die Rolle des Diplomaten: sicherzustellen, dass Gottes Wille durch den Dienst des Petrus erfüllt wird, jenseits persönlicher Interessen (vgl. Phil 2,4). Wer in der Kirche dient, versucht nicht, seine eigene Stimme durchzusetzen, sondern die Wahrheit Christi sprechen zu lassen. Und in diesem Verzicht entdeckten sie die Freiheit des wahren Dieners (vgl. Mt 20,26-27).

„Von der Furcht, gedemütigt zu werden … erlöse mich, o Herr!“ Nach dem Tod des heiligen Pius X. erhielt er andere Aufgaben, doch er bemühte sich, seinen Dienst mit der gleichen Treue fortzusetzen, mit der Gelassenheit eines Menschen, der weiß, dass jeder Dienst in der Kirche wertvoll ist, wenn er für Christus gelebt wird. So zeigte er, dass seine Aufgabe kein Podest, sondern ein Weg der Hingabe war. Wahre Autorität beruht nicht auf Positionen oder Titeln, sondern auf der Freiheit, auch abseits des Rampenlichts zu dienen (vgl. Mt 23,11). Und wer keine Angst davor hat, an Sichtbarkeit zu verlieren, erlangt Verfügbarkeit für Gott.

„Von dem Wunsch, anerkannt zu werden … erlöse mich, o Herr!“ Er strebte danach, seine Mission in Treue zum Evangelium und in geistiger Freiheit zu leben, nicht geleitet vom Wunsch zu gefallen, sondern von der Wahrheit, stets getragen von der Liebe. Er verstand, dass die Fruchtbarkeit des christlichen Lebens nicht von menschlicher Zustimmung abhängt, sondern von der Beharrlichkeit derer, die, mit Christus vereint wie die Rebe mit dem Weinstock, zur rechten Zeit Frucht bringen (vgl. Johannes 15,5).

Zwei Sätze genügen, um seine Existenz zusammenzufassen. Das erste ist sein bischöfliches Motto, das die Heilige Schrift Abraham in den Mund legt (vgl. Gen 14,21): „Da mihi animas, cetera tolle“ oder „Gib mir Seelen, nimm den Rest.“ In seinem Testament verfügte er, dass dies die einzige Inschrift auf seinem Grab sein solle, das sich heute in der Krypta des Petersdoms befindet. Unter der Kuppel, die das Andenken des Apostels bewahrt, wollte er seinen Namen auf diese bloße Bitte reduzieren. Keine Ehrungen, Titel oder Biografie: nur der Schrei des Herzens eines Hirten.

Das zweite ist die abschließende Bitte der Litanei: „Mögen andere heiliger sein als ich, damit ich so heilig werde, wie ich kann.“ Hier wird ein Schatz des christlichen Lebens hervorgehoben: Heiligkeit wird nicht durch Vergleiche gemessen, sondern durch Gemeinschaft. Der Kardinal verstand, dass wir nach unserer eigenen Heiligkeit streben und gleichzeitig die der anderen fördern müssen, indem wir gemeinsam auf Christus zugehen (vgl. 1 Thess 3,1; 12-13). Dies ist die Logik des Evangeliums und muss auch die Logik der päpstlichen Diplomatie sein: Einheit und Gemeinschaft im Wissen, dass jeder dazu berufen ist, so heilig wie möglich zu sein.

Liebe Kinder der Familie Merry del Val, möge die Erinnerung an dieses Mitglied eurer Familie, einen wahren Diplomaten der Begegnung, eine Quelle tiefer Dankbarkeit und eine Inspiration für uns alle sein, insbesondere für diejenigen, die mit dem Nachfolger Petri in der Diplomatie zusammenarbeiten. Möge die Jungfrau Maria, die Rafael Merry del Val mit kindlicher Zärtlichkeit liebte, unsere Familien, die Diplomaten des Heiligen Stuhls und alle, die in der Kirche dienen, lehren, Wahrheit und Liebe, Klugheit und Kühnheit, Dienst und Demut zu vereinen, damit allein Christus in allen Dingen erstrahlen kann. Vielen Dank.

Lasst uns gemeinsam beten, wie der Herr es uns gelehrt hat: Vaterunser…
(Segen)
Alles Gute und nochmals vielen Dank!
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Anhang der kath.net-Redaktion: Die Litanei der Demut gemäß Merry del Val in voller Länge:

Nach jedem Satz betet man: Befreie mich, o Jesus.
– Von meinem eigenen Willen
– Vom Wunsch, geachtet zu werden
– Vom Wunsch, geschätzt zu werden
– Vom Wunsch, geliebt zu werden
– Vom Wunsch, erhoben zu werden
– Vom Wunsch, geehrt zu werden
– Vom Wunsch, gelobt zu werden
– Vom Wunsch, bevorzugt zu werden
– Vom Wunsch, um Rat gefragt zu werden
– Vom Wunsch, Zustimmung zu finden
– Vom Wunsch, verstanden zu werden
– Vom Wunsch, aufgesucht zu werden
– Vor der Furcht, erniedrigt zu werden
– Vor der Furcht, verachtet zu werden
– Vor der Furcht, getadelt zu werden
– Vor der Furcht, verleumdet zu werden
– Vor der Furcht, vergessen zu werden
– Vor der Furcht, ausgelacht zu werden
– Vor der Furcht, verdächtigt zu werden
– Vor der Furcht, Unrecht zu erfahren
– Vor der Furcht, allein gelassen zu werden
– Vor der Furcht, abgewiesen zu werden

Vor jedem Satz betet man: Jesus, gewähre mir die Gnade, das zu wünschen
– dass andere mehr geliebt werden als ich
– dass andere höher geschätzt werden als ich
– dass andere Lob erhalten und ich übersehen werde
– dass andere auserwählt werden und ich leer ausgehe
– dass andere mir in allem vorgezogen werden
– dass andere heiliger werden als ich, vorausgesetzt, dass ich so heilig werde, wie ich soll.

Vor jedem Satz betet man: Herr, hilf mir, mich darüber zu freuen:
– dass ich arm und unerkannt bin
– dass ich körperlich und geistig unvollkommen bin
– dass niemand an mich denkt
– dass ich die niedrigsten Arbeiten erfüllen soll
– dass sich niemand von mir helfen lässt
– dass niemand nach meinem Rat fragt
– dass ich auf dem letzten Platz bleibe
– dass mir nie jemand ein Kompliment macht
– dass ich immer wieder getadelt werde
Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihnen gehört das Himmelreich (Mt 5,10)

Archivfoto: Kardinal Merry del Val und Papst Pius X. (c) Parrocchia di Riese Pio X/gemeinfrei


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Lesermeinungen

Confiteor vor 1 Stunden: Demut

Herzlichen Dank der kath.net Redaktion, welche die Litanei der Demut gemäß Merry del Val in voller Länge der überaus bemerkenswerten Papst-Rede angehängt hat.
Diese Litanei wäre es wert, dem Volk - und vielleicht noch mehr dem (hohen) Klerus - in geeigneter Form als Gebetsbehelf zugänglich gemacht zu werden.

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